Neusprech: Was ist Datenschutz?

Es steht zwar Datenschutz drauf, aber drin ist das Recht zur Überwachung: das Beschäftigtendatenschutzgesetz. Zwar will man heimliche Überwachungen verbieten, aber das sind sie außer bei begründetem Verdacht auf Strafdaten auch heute schon.
Dafür darf künftig mehr „offen“ überwacht werden. Für diese Offenheit reicht es aus, dass das Unternehmen über die Überwachung informiert. Ein Schild „Dieser Bereich wird videoüberwacht“ ist dagegen nicht notwendig.
Bei Call-Center-Mitarbeitern dürfte künftig beliebig mitgeschnitten werden. Auch wer sich nach einer halben Stunde Warteschleife schon einmal über eine inkompetente Antwort geärgert hat, sollte dieser Art der „Qualitätssicherung“ widersprechen. Für Hungerlöhne auch noch rund um den Arbeitstag überwacht werden? Dann wird kontrolliert, ob man oft genug den potentiellen Kunden mit dem Namen angesprochen hat, ob man nachdrücklich genug die angeblichen Vorteile des „Produktes“ angepriesen oder ob man vielleicht den geplagten Angerufenen zu schnell von der Angel gelassen hat. Kurz: ob man genug genervt hat. Das hat uns gerade noch gefehlt. Sage keiner, ihm könnte das nie passieren. Ich kenne mehrere Leute mit Universitätsabschluss, die aus Verzweiflung im Call Center gelandet sind, weil sich gerade nichts anderes finden wollte.
Auch Gesundheitsuntersuchungen dürfen künftig öfter verlangt werden. Bisher ist das nur zulässig, wenn es der Arbeitsschutz zwingend erfordert. Aber geht meinen zukünftigen Chef etwas an, ob ich an Diabetes leide oder vielleicht an einer harmlosen Herzrhythmusstörung? Ob ich Plattfüße habe?
Das Ausforschen sozialer Netzwerke wird ausdrücklich abgesegnet. Es soll ohnehin schon Personalchefs geben, die vom Bewerber die Freischaltung ihrer eigentlich privaten Facebook-Seite verlangen.
Theoretisch muss Überwachung vom Betriebsrat abgesegnet werden. Doch ausgerechnet in den Branchen, die am häufigsten zur Überwachung greifen – Einzelhandel und Call Center – gibt es kaum Betriebsräte. Betriebsratswahlen werden systematisch behindert, Belegschaften eingeschüchtert, Betriebsräte gemobbt. Kein Schutz also zwischen dem Mitarbeiter und dem Großen Bruder, der alles sieht und alles sehen darf.
Am 30. Januar soll über das neue Gesetz im Bundestag beraten werden.
Der DGB sammelt Unterschriften dagegen.
Deshalb noch mal ein Aufruf: Macht mit, ehe wir alle zu gläsernen Mitarbeitern werden. Denn Freiheit, die man einmal aufgegeben hat, bekommt man kaum zurück.

Und demnächst, ich verspreche es, gibt es hier wieder irgendwas Lustiges.

Über Heidrun Jänchen

Physikerin, Autorin von Fantasy und Science Fiction und als Mitglied der Bevölkerung engagierte und unangepasste Bürgerin
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6 Antworten zu Neusprech: Was ist Datenschutz?

  1. monologe schreibt:

    Nein, nein, es ist in diesem Fall nicht so, dass „Freiheit“ aufgegeben wird, sondern es wird eine eingeräumt, nämlich die der Überwachung. Lagalisierung von etwas, das zuvor illegal war, bedeutet, obs einem nun passt oder nicht: Freiheit, Liberté. Was aufgegeben wird – wie seit etlichen Jahren etliches Anderes, teils ehedem bitter erkämpft – das ist Souveränität, Selbstbestimmung, Würde (aber um diese muss sich ja bekanntlich niemand sorgen, da sie grundgesetzlich „unantastbar“ ist), Format. Es sind Grenzen gewesen.

    • Heidrun Jänchen schreibt:

      Oh, dafür könnte ich jetzt die tatkräftige Hilfe eines Philosophen brauchen. Versuchen wir es mal so: Die Freiheit des einen endet immer da, wo sie an die Freiheit des anderen stößt. Freiheit von Überwachung, Gängelung, Verfolgung wegen Meinungsäußerungen ist für mich auch Freiheit, wenn auch eine negative. Ein Mitarbeiter, der ständig durch Kamera und Telefonmitschnitt überwacht wird, wird sich wohl kaum „frei“ fühlen, sondern hochgradig kontrolliert.
      Bei einem dieser unerwünschten Telefongespräche (keine Ahnung, um welche Art Versicherung oder Steueroptimierung es da ging) äußerte ich einmal, am Telefon schlösse ich grundsätzlich keine Verträge ab. Reaktion des genervten Call-Center-Mitarbeiters: „Na das ist ja toll!“ Und legte auf. Fand ich erfrischend ehrlich. Aber mit dieser Art Freiheit ist es definitiv vorbei, wenn die Überwachung kommt.
      Zur Menschenwürde gehört unbedingt auch das Recht auf schlechte Laune.

  2. monologe schreibt:

    Jaja, das ist ja klar. Soll auch nicht in Zweifel gezogen werden, dass man sich bei Überwachung so oder so fühlt im Gegensatz zur Nichtüberwachung. Aber „Die Freiheit des einen endet immer da, wo sie an die Freiheit des anderen stößt.“ ist doch kurios. Freiheiten stoßen aufeinander, hmm. Ist es nicht viel mehr so, dass es nur eine gibt? Und dass dasselbe für Unfreiheit gilt? Und dass das, abhängig voneinander, aneinander hängt? Wie Reichtum und Armut? Eines bedingt das andere. Sind es nicht Interessen, die kollidieren, Freiheit hin oder her? Soweit werden es die Leute aber doch nicht kommen lassen, sich die schlechte Laune verderben zu lassen! Ehrlich gesagt finde ich es allmählich gut, dass die Leute, wir, uns wieder was erkämpfen, uns behaupten müssen. Das liegt schon viel zu lange im Argen, sprichwörtlich. In den wenigen Jahren Prekarisierung, Beschiss, Raub auf offener Straße, Schwindel und Verdummung -mal sehn, wie weit es geht. Das ist der Versuch, spannend zu verfolgen von allen Seiten.

    • Heidrun Jänchen schreibt:

      Um Begriffe lässt sich trefflich streiten :).
      Die Freiheit, mir auf Arbeit unbeobachtet in der Nase bohren zu können (nur mal als Beispiel) kollidiert mit der Freiheit des Unternehmens, mich uneingeschränkt zu beobachten. Ein Mindestlohn gäbe vielen die Freiheit, ohne HartzIV-Zwang von ihrer Arbeit zu leben, würde auf der anderen Seite aber die Freiheit zum unbeschränkten Geldverdienen durch Ausbeutung einschränken. Es ist letzten Endes ein Verteilungskampf, bei dem es nicht nur um Geld, sondern auch um so immaterielle Dinge wie Seelenfrieden geht (der härtere Ausdruck dafür ist „Stress macht krank“).
      Wir können aber „Freiheit“ an den meisten Stellen ganz gut auch durch „Recht“ ersetzen. Ja, wir haben uns in den letzten Jahren eine Menge Rechte wegnehmen lassen. Wir lassen uns überwachen, weil man uns einredet, dadurch würde unser Leben sicherer. Tatsächlich fühlen wir uns aber immer unsicherer.
      Es wird Zeit, auf den Tisch zu hauen und damit Schluss zu machen. Das wäre ein Anfang.
      Und immerhin hat man das Gesetz vorerst auf Eis gelegt. So kurz vor den Wahlen mag sich offenbar niemand mit den Gewerkschaften anlegen.
      Ansonsten gilt: Nicht verfolgen – mitmachen!

  3. monologe schreibt:

    Also um das etwas abzukürzen: zuunterst den Illustrierten und Partei-Programmen sowie Tischhau-Resolutionen findet sich in den dickeren Büchern allerhand über Mein und Dein, Sicherheit und Unsicherheit, Gerechtigkeit, Freiheit und ganz besonders Interessantes über Dualität. Damit lässt sich vielleicht Ordnung in den Kraut- und Rüben-Topf bringen?

  4. Heidrun Jänchen schreibt:

    Das eine oder andere der dicken Bücher habe ich todsicher gelesen. Aber um eine ganz konkrete Gefahr (die der uneingeschränkten Überwachung) möglichst schnell und mit möglichst vielen Leuten abzuwehren, ist manchmal eine Tischhau-Resolution notwendig. Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand eine Webseite liest und unterschreibt, ist einfach viel höher als die, dass er „Das Kapital I – III“ liest und die Weltrevolution startet.
    Die meisten Leute bewegen sich noch nicht einmal, wenn es um ihr eigenes Geld geht. Die Aktivität beschränkt sich auf gedämpftes Jammern. Also überfordern wir sie nicht gleich 😉

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