Freiheit und Demokratie und Angst

SolidarityWall

Die Solidarity Wall in Belfast. Hier geht es zwar um Basken, aber Catalunya ist eingezeichnet

1. Oktober 2017. Ich mache mir Sorgen um Josep. Sorgen in der Art von: Ich hab eine Scheißangst.
Mitten in der Nacht hat er mir geschrieben, er würde nach der Bereitschaft in der Apotheke ins Wahllokal gehen. Er sei glücklich, diesen Tag zu erleben.
Josep, der als Apotheker von der Dauerkrise in Spanien nicht sonderlich betroffen ist (dafür sorgen schon die Sonnenbrände deutscher Touristen), der aber trotzdem mit ERC und Podemos sympathisiert – und ein glühender Verfechter der Katalanischen Republik ist.
In Deutschland rümpfen etliche über die Independistas die Nase und werfen ihnen dumpfen Nationalismus und Egoismus vor, weil Katalonien der reichste Teil Spaniens ist. Aber so sind sie nicht. Wenn man dumpfe Nationalisten sehen will, kann man sich Pegida angucken. Egoismus ist kein so starkes Motiv, dass man sich dafür von der Polizei zusammenschlagen ließe. Das tun die Katalanen gerade.
Der Groll der Katalanen gegen den spanischen Staat geht ganz wesentlich auf die Franco-Diktatur zurück. Als die Katalanen mit einer Bodenreform Tagelöhnern zu Land verhalfen, griff Franco zugunsten der Großgrundbesitzer ein. Die Katalanen waren die letzten und verbissensten Verteidiger der spanischen Republik, und sie bezahlten dafür. Wer wissen will, wie sich das anfühlte, sollte Carlos Ruiz Zafon lesen.
Josep durfte in der Schule nicht seine Muttersprache sprechen. Katalanisch war verboten – wie auch Teile der katalanischen Kultur. Heute hat er ein Wörterbuch Katalanisch-Sanskrit im Bücherschrank, obwohl er kein Wort Sanskrit kann. Aber dass es ein solches Wörterbuch überhaupt gibt, macht ihn glücklich.
Der spanische König wurde von Franco eingesetzt. Verbrechen der Faschisten wurden nie aufgeklärt, die Täter nie belangt. Oft bleiben sie einfach im Amt. 1996, als ich Barcelona besuchte, schärfte mir Josep ein, um die Guardia Civil einen möglichst großen Bogen zu machen. Bei Problemen sollte ich mich an die städtische Polizei wenden. Das war kein Witz – er hatte wirklich Angst vor den Paramilitärs, und er ist kein ängstlicher Mensch. In Spanien gibt es nach wie vor Isolationshaft, in der Gefangene nicht einmal einen Anwalt sprechen dürfen, und Folter. Der spanische Staat hat immer wieder in die katalanische Autonomie hineinregiert. Unter anderem hat er ein Gesetz kassiert, das das Recht auf Wohnraum festschrieb. Das ist ein brennendes Problem, weil wegen der Krise immer wieder Menschen wegen Mietrückständen auf der Straße landen. Spanien ist ein korrupter Staat, noch immer die Reichen und mächtigen schützt, egal was sie tun. In den letzten Wochen hat er gezeigt, dass ihm außer Gewalt und Einschüchterung nichts einfällt.
Die Katalanen in Frankreich sind mit sich und der Welt zufrieden – Frankreich pflegt das katalanische Erbe, Kultur und Sprache. Man kann Katalane und Franzose zugleich sein. In Spanien ist man entweder Spanier oder Katalane. Wenn es bisher keinen Grund gegeben hat, die Unabhängigkeit zu wollen, der heutige Tag liefert ihn. Schwer bewaffnete Polizei schlägt anlasslos auf friedliche Menschen ein. Es gibt willkürliche Verhaftungen. Anderswo können Menschen die Schulen, die als Wahllokale dienen, nicht verlassen, weil sie von der Polizei abgesperrt sind. Man sieht Gewehre.
Ich mache mir Sorgen.

Über Heidrun Jänchen

Physikerin, Autorin von Fantasy und Science Fiction und als Mitglied der Bevölkerung engagierte und unangepasste Bürgerin
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3 Antworten zu Freiheit und Demokratie und Angst

  1. Evelyn schreibt:

    Danke, liebe Heidrun … Ich habe soeben erschütternde Videos gesehen, die ich ebenso auf Facebook teile wie Deinen Beitrag!

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