Draußen vor der Tür

Das Thüringer Kommunalwahlgesetz stammt in seiner Urform von 1993, und es ist lesbar nicht gemacht, um die Demokratie zu befördern, sondern um sich lästige Konkurrenz vom Halse zu halten. Es reicht nicht, eine Partei, ein Programm und eine wählbare Liste zu haben, um zu einer Stadtratswahl antreten zu können. Man braucht außerdem Unterstützerunterschriften, um es überhaupt auf den Wahlzettel zu schaffen, In Jena sind das 184.
Das ist an und für sich keine große Hürde. Die Hürde heißt „Amtsstubensammlung“. Unterschreiben darf man nur im Amt. In Jena ist das das Bürgerbüro. Dessen Öffnungszeiten sind schon eine Herausforderung, wenn man dringend einen neuen Pass oder Ausweis braucht, für Gefälligkeiten wie die Unterzeichnung einer Wahlliste sind sie praktisch ein Ausschlusskriterium. Die Listen liegen von 9 bis 13 Uhr täglich aus, Dienstags bis 18 Uhr und Donnerstags bis 16 Uhr. Dann stehen die Leute Schlange wie früher nach Bananen.
Wir machten den Fehler, Samstags zu erscheinen. Die Frau am Tresen erklärte, unterschreiben könnte man nur Montag bis Freitag. Auf mein verdutztes Warum beschied sie mir, dass das so im Amtsblatt stünde. Sie suchte mir das einschlägige Amtsblatt sogar heraus. Zeit hatte sie also. Inzwischen ist das Bürgerbüro in ein neues, viel schöneres und moderneres Gebäude umgezogen und hat Samstags nur noch geheime Öffnungszeiten, die zwar im Internet stehen, nicht aber an der Tür. Immerhin zwei Samstage im Monat.

Das Haus, das Verrückte macht – jedenfalls wenn man das Formular für Unterstützerunterschriften braucht.

Das Amt öffnet eigentlich 8:30 Uhr, aber Listen gab es erst ab 9. Um 9 beginnt bei Zeiss die Kernzeit. Bei anderen Unternehmen auch. Schnell vor der Arbeit hinfahren ist also nicht. Leute irgendwo in der Freizeit ansprechen geht auch nicht.Man kann sich nur vor die Tür des Bürgerbüros stellen und Leute anbetteln, die ohnehin gerade aufs Amt wollen. Pro Stunde überzeugt man so fünf bis sechs, wenn man Glück hat, kommen Bekannte vorbei. Unterschriftswillige berichteten, dass sie eine Viertelstunde am Tresen warten mussten, weil keine Unterschriftsbögen mehr da waren und man neue kopieren musste. Woher hat das Bürgerbüro einen so langsamen Kopierer?
Zwei Wochen lang ließ man uns unbehelligt vor der Tür des Bürgerbüros stehen. Dann, es war Dienstag, der Tag mit der Öffnungszeit bis 18 Uhr, kam ein Mensch vom Ordnungsamt und belehrte mich (und das ebenfalls bettelnde Bürgerbündnis), dass Leute ansprechen und Flugblätter verteilen eine Sondernutzung des öffentlichen Raumes und deshalb anmeldepflichtig sei. Ohne Anmeldung wäre es eine Ordnungswidrigkeit. Die zuständige Behörde hatte just – es war 15:30 – geschlossen und öffnet Mittwochs grundsätzlich nicht. Später erklärte der Wahlleiter, dass wir dürften, aber der Dienstag war ruiniert.
Vor zehn Jahren tauchte irgendwann der Wahlleiter auf und sagte uns, wir könnten nach Hause gehen, es seien genug Unterschriften da. Diesmal ließ man uns bis zum letzten Tag vor der Tür stehen. Dann brauchte man noch einen Tag, um die Stimmzettel zu prüfen.
Dieses ganze Verfahren ist eine reine Schikane und in der Lichtstadt noch ein bisschen schikanöser als unbedingt nötig. Hat aber nicht geholfen. Wir haben es geschafft und das Bürgerbündnis auch.

Über Heidrun Jänchen

Physikerin, Autorin von Fantasy und Science Fiction und als Mitglied der Bevölkerung engagierte und unangepasste Bürgerin
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