Irgendwas mit Kohlendioxid

Jena leistet sich alle zwei Jahre einen Klimaschutz-Monitoring-Bericht. Da rechnet man unheimlich viele Zahlen aus, die irgendetwas mit dem CO2-Ausstoß der Stadt zu tun haben.
Die Erkenntnis des Jahres: „Bei einer genaueren Betrachtung ergibt sich jedoch, dass dazu die Energieverbräuche von Erdgas offenbar witterungsbedingt schwanken.“ Bei kaltem Wetter wird mehr geheizt! Hättet ihr das gewusst? Wenn es mir keiner gesagt hätte, dann wäre ich da nie drauf gekommen.
Noch erstaunlicher ist aber der Verkehr. Der öffentliche Nahverkehr ist 2021 und 2022 um etwa 25 % eingebrochen. Wir erinnern uns: Es gab eine Pandemie, wer konnte, musste im Homeoffice arbeiten, und alles, was einen hätte zu Mobilität inspirieren können, war geschlossen. Wir wanderten.

Anders der Pkw-Verkehr. Der hat sich laut Bericht in dieser Zeit kein bisschen verändert. Wir erinnern uns: Es gab eine Pandemie, wer konnte, musste im Homeoffice arbeiten, und alles, was einen hätte zu Mobilität inspirieren können, war geschlossen. Wir wanderten.

Äh … und wo kam der Verkehr her? Aus der Berechnungsmethode. Das Klimaschutz-Monitoring nimmt die Zahl der zugelassenen Pkw und multipliziert sie mit der durchschnittlichen Fahrleistung laut Kraftfahrt-Bundesamt – von vor drei Jahren. Schneller ist das Amt nicht. Das ist, ließ mich der Berichtersteller wissen, ein „anerkanntes Berechnungsverfahren“. Vielleicht, sagt er, würde man im nächsten Bericht eine reduzierte Fahrleistung in den Daten sehen. Ob man im nächsten Jahr in der turnunsmäßigen Befragung zum Mobilitätsverhalten der Jenaer eine Veränderung feststellen könnte, bliebe abzuwarten. Aber warum sollte man? Wenn man die Leute 2025 fragt, wie sie am Morgen zur Arbeit gekommen sind, dann wird man in den Antworten allenfalls ein homöpathisches Echo des Jahres 2021 finden. Zumal in dieser Befragung das Nichtzurarbeitgehen nicht erfasst wird, weil es eben keinen Weg generiert, der irgendwie zurückgelegt werden müsste.
Ich wohne an einer der zwei Zubringerstraßen zum Zeisswerk. An normalen Tagen reiht sich 7:30 am Morgen ein Auto ans nächste, und man hat Mühe, sich mit dem Fahrrad irgendwo dazwischen zu quetschen. In den Sommerferien kann man einfach so einscheren. In der COVID-Zeit war es leerer als in den Sommerferien, jeden Tag, monatelang. In Jena arbeiten überdurchschnittlich viele Leute an Computern, und man stellte verblüfft fest, dass es völlig egal ist, wo genau diese Computer stehen. Buchstäblich tausende gingen ins Heimbüro und sparten sich den Arbeitsweg. Aber die größte Reduzierung des CO2-Ausstoßes, die wir je gesehen haben, verschwindet in der Methodik, ganz so, als habe es sie nie gegeben.
Andernfalls würde man vielleicht feststellen, dass ein Recht auf Homeoffice klimawirksamer ist als die LED-Lampe im Kühlschrank oder die plakative Förderung von Lastenrädern.
Ich wage die Vorhersage, dass man sich beim nächsten Monitoringbericht für den (methodikbedingten) Rückgang des Kfz-Verkehrs feiern wird, um im übernächsten zu barmen, dass die Leute aus unerfindlichen Gründen schon wieder mit dem Auto herumkurven.

(Die beiden Grafiken stammen aus „Kurzbericht Energieverbrauchsdaten und Treibhausgas-Bilanz der Stadt Jena – Monitoring für die Jahre 2021 und 2022 -„; ThINK – Thüringer Institut für Nachhaltigkeit und Klimaschutz GmbH)

Über Heidrun Jänchen

Physikerin, Autorin von Fantasy und Science Fiction und als Mitglied der Bevölkerung engagierte und unangepasste Bürgerin
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Eine Antwort zu Irgendwas mit Kohlendioxid

  1. Reinhard Krause schreibt:

    Geehrte Heidrun , das war wieder ein sehr guter Kommentar von Ihnen über die öff. Statistiker im Vergleich zum realen sozialen Rhythmus……Die LED im Kühlschrank ist i. S. Einschaltdauer unschlagbar…..liebe Grüße nach Jena, Ihr Reinhard Krause

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