Die Angst läuft mit

Es geht wieder los – Wahlkampf liegt in der Luft. Die CDU in Thüringen war schon immer ein Garant für schlechten Geschmack und Schlammschlacht, wenn es ernst wird. Seit sie in der Oppositon ist, dreht sie vollends frei. Zumindest ihre Landtagswahl-Kampagne arbeitet sich schon mal hart an die AfD heran. Man weiß ja nie, von wem man sich nach der Wahl zum Ministerpräsidenten wählen lassen möchte. Das Hellblau ist schon nahe dran. Die Sprüche sind näher.

Die CDU feiert sich auf Twitter für ihre hellblaue Schmutzkampagne

Besonders „Nachts allein nach Hause? Die Angst läuft mit.“ ist an AfD-Haftigkeit kaum zu überbieten. Die CDU behauptet, das liege daran, dass man „Thüringen links liegen gelassen“ hätte. Allerdings bestätigt das Plakat vor allem, dass Angst etwas Irrationales ist, dem man mit Vernunft nicht beikommen kann. Denn die Fakten, nun ja, die sind irgendwie anders. Aber man kann Angst, glaube ich, mit derlei Kampagnen trefflich befördern.
Tatsächlich liegt Thüringen deutlich unter dem Bundesdurchschnitt, was Kriminalität betrifft, auf Platz 12 von 16. Länder wie Nordrhein-Westfalen oder Sachsen-Anhalt, beides seit Längerem fest in CDU-Hand, liegen weit davor.

Zahlen von Statista, Grafik von mir

Und nicht mal im Vergleich mit Thüringen ist es besonders auffällig. 2002, als man noch das Gefühl hatte, man würde die CDU nie aus der Staatskanzlei bekommen, zumindest nicht mehr in diesem Jahrtausend, war Thüringen so kriminell wie heute. Es gibt Schwankungen. 2013 hatte man durch den Zensus festgestellt, dass etliche Thüringer unbemerkt abhanden gekommen waren – die Bevölkerungszahl also kleiner als vermutet und ergo die Kriminalitäts-Häufigkeitszahl höher. Ohne dass sich sonst irgendwas geändert hätte. 2019 stellte man mit umgekehrtem Effekt die IT-Systeme um. Aber davon abgesehen ist der Trend vor allem völlig unauffällig.

Quelle: Kriminalstatistik des Landeskriminalamtes Thüringen; die Häufigkeitszahl ist die Anzahl der Delikte pro 100.000 Einwohner

Nebenbei habe ich festgestellt, dass die weitaus häufigste Form der Kriminalität in Thüringen mitnichten Amokläufe mit Messern, sondern Betrugsdelikte sind, und dass „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ ganz wesentlich von Pornographie dominiert werden. Am Computer ist es also gefährlicher als Nachts auf der Straße. Was Drogendelikte betrifft, werden die Zahlen durch die Legalisierung von Cannabis praktisch verdunsten. Die kann man in der Pfeife rauchen. 2016 gab es einen rasanten Anstieg von Gewalt gegen Sachen – das waren zerstörte Wahlplakate, Wert pro Stück um die 2 €. Da werden statistisch nicht nur Äpfel und Birnen, sondern auch Johannisbeeren und Kürbisse zusammengeworfen.
Alles in allem gibt es kein Indiz dafür, dass Thüringen ohne die CDU an der Spitze irgendwie unsicherer geworden wäre. Die Angst, die da mitläuft, ist die der CDU, dass sie womöglich noch fünf weitere Jahre nicht am Futtertrog der Macht sitzen könnte. Ein Horror. Da muss man schon ganz tief in die Propagandakiste greifen.

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Irgendwas mit Kohlendioxid

Jena leistet sich alle zwei Jahre einen Klimaschutz-Monitoring-Bericht. Da rechnet man unheimlich viele Zahlen aus, die irgendetwas mit dem CO2-Ausstoß der Stadt zu tun haben.
Die Erkenntnis des Jahres: „Bei einer genaueren Betrachtung ergibt sich jedoch, dass dazu die Energieverbräuche von Erdgas offenbar witterungsbedingt schwanken.“ Bei kaltem Wetter wird mehr geheizt! Hättet ihr das gewusst? Wenn es mir keiner gesagt hätte, dann wäre ich da nie drauf gekommen.
Noch erstaunlicher ist aber der Verkehr. Der öffentliche Nahverkehr ist 2021 und 2022 um etwa 25 % eingebrochen. Wir erinnern uns: Es gab eine Pandemie, wer konnte, musste im Homeoffice arbeiten, und alles, was einen hätte zu Mobilität inspirieren können, war geschlossen. Wir wanderten.

Anders der Pkw-Verkehr. Der hat sich laut Bericht in dieser Zeit kein bisschen verändert. Wir erinnern uns: Es gab eine Pandemie, wer konnte, musste im Homeoffice arbeiten, und alles, was einen hätte zu Mobilität inspirieren können, war geschlossen. Wir wanderten.

Äh … und wo kam der Verkehr her? Aus der Berechnungsmethode. Das Klimaschutz-Monitoring nimmt die Zahl der zugelassenen Pkw und multipliziert sie mit der durchschnittlichen Fahrleistung laut Kraftfahrt-Bundesamt – von vor drei Jahren. Schneller ist das Amt nicht. Das ist, ließ mich der Berichtersteller wissen, ein „anerkanntes Berechnungsverfahren“. Vielleicht, sagt er, würde man im nächsten Bericht eine reduzierte Fahrleistung in den Daten sehen. Ob man im nächsten Jahr in der turnunsmäßigen Befragung zum Mobilitätsverhalten der Jenaer eine Veränderung feststellen könnte, bliebe abzuwarten. Aber warum sollte man? Wenn man die Leute 2025 fragt, wie sie am Morgen zur Arbeit gekommen sind, dann wird man in den Antworten allenfalls ein homöpathisches Echo des Jahres 2021 finden. Zumal in dieser Befragung das Nichtzurarbeitgehen nicht erfasst wird, weil es eben keinen Weg generiert, der irgendwie zurückgelegt werden müsste.
Ich wohne an einer der zwei Zubringerstraßen zum Zeisswerk. An normalen Tagen reiht sich 7:30 am Morgen ein Auto ans nächste, und man hat Mühe, sich mit dem Fahrrad irgendwo dazwischen zu quetschen. In den Sommerferien kann man einfach so einscheren. In der COVID-Zeit war es leerer als in den Sommerferien, jeden Tag, monatelang. In Jena arbeiten überdurchschnittlich viele Leute an Computern, und man stellte verblüfft fest, dass es völlig egal ist, wo genau diese Computer stehen. Buchstäblich tausende gingen ins Heimbüro und sparten sich den Arbeitsweg. Aber die größte Reduzierung des CO2-Ausstoßes, die wir je gesehen haben, verschwindet in der Methodik, ganz so, als habe es sie nie gegeben.
Andernfalls würde man vielleicht feststellen, dass ein Recht auf Homeoffice klimawirksamer ist als die LED-Lampe im Kühlschrank oder die plakative Förderung von Lastenrädern.
Ich wage die Vorhersage, dass man sich beim nächsten Monitoringbericht für den (methodikbedingten) Rückgang des Kfz-Verkehrs feiern wird, um im übernächsten zu barmen, dass die Leute aus unerfindlichen Gründen schon wieder mit dem Auto herumkurven.

(Die beiden Grafiken stammen aus „Kurzbericht Energieverbrauchsdaten und Treibhausgas-Bilanz der Stadt Jena – Monitoring für die Jahre 2021 und 2022 -„; ThINK – Thüringer Institut für Nachhaltigkeit und Klimaschutz GmbH)

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Herrgott nochmal!

Das Bild kreist im Internet. Ich würde die Quelle angeben, wenn ich sie denn wüsste.

Als Christian Herrgott von der CDU Landrat des Saale-Orla-Kreises wurde, jubelten die Demokraten von Linke bis CDU. Sein Verdienst: Er ist nicht in der AfD. Das reicht in Deutschland 2024, um Sympathieträger zu sein.
Inzwischen gibt er sich die größte Mühe zu demonstrieren, dass die CDU die bessere AfD ist. Asylbewerber, die in einer der trostlosen Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes hocken, sollen gefälligst arbeiten! Bei dieser Forderung kann man sicher sein, dass jeder, der ein solides Viertelwissen zum Thema hat, lautstark applaudiert, denn er glaubt zu wissen, dass die Asylanten nur aus Faulheit zu uns kommen.
Die Sache hat einen Haken, den bekannten IKS-Haken. Asylbewerber dürfen nicht arbeiten, zumindest nicht sofort. Sollte der Antrag zügig positiv entschieden werden, dann darf gearbeittet werden. Ansonsten muss man mindestens 6 Monate in einer Aufnahmeeinrichtung herumdümpeln, ehe er einen Antrag auf Arbeitserlaubnis stellen kann. Dem muss die Bundesagentur für Arbeit zustimmen, und natürlich darf man nicht aus einem „sicheren Herkunftsstaat“ kommen, aus dem Kosovo zum Beispiel. Da gab es im vergangenen September wieder einmal Feuergefechte, weil die albanische Mehrheit die serbische Minderheit gern vertreiben würde.
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales meint im Gegensatz zum Asylgesetz allerdings, die 6 Monate gelten nur, wenn man minderjährige Kinder vorzeigen kann. Ansonsten seien es 9 Monate – vermutlich, weil die ausreichen, um ein minderjähriges Kind notfalls zu erzeugen.
Das heißt, mindestens ein halbes Jahr lang zwingt man geflüchtete Menschen, für 80 Cent die Stunde zu arbeiten, vier Stunden pro Tag. Die Vergütung ist eine Verhöhnung der Betroffenen. Nach vier Stunden Arbeit kann man sich ein Brot leisten. Oder einen Kaffee und ein Croissant beim billigsten Imbissladen. Nicht beim Bäcker – da reicht es nur für ein kleines Brötchen zum Kaffee. Eine Kugel Eis pro zwei Stunden. Und da man ahnt, dass dieser unglaubliche Lohn niemanden motivieren wird, kommt gleich die Drohung dazu: Ansonsten wird die Grundleistung von 146 Euro pro Monat (für Erwachsene Ü25, sonst sind es 16 € weniger) gekürzt. Oder gestrichen.
Das ist so eigentlich nicht vorgesehen. Im Asylbewerberleistungsgesetz steht, man sollte Arbeitsgelegenheiten anbieten. Von Zwang keine Rede. Es scheint nur billig, wenn die Zugereisten ihre eigene Unterkunft schrubben. Das ist aber nicht alles. „Im Übrigen sollen soweit wie möglich Arbeitsgelegenheiten bei staatlichen, bei kommunalen und bei gemeinnützigen Trägern zur Verfügung gestellt werden, wenn das Arbeitsergebnis der Allgemeinheit dient.“ Das kennt man von den unseligen 1-Euro-Jobs, die keinesfalls normale Arbeit verdrängen sollten. Und dann wurden plötzlich die kommunalen Gärtner entlassen, weil es ja auch billiger ging.
Jetzt geht es noch billiger, und von Freiwilligkeit und „anbieten“ ist keine Rede mehr. Das ist Zwangsarbeit, nichts anderes. Wie gut, dass der Herr Herrgott Landrat ist und nicht der AfD-Mann! Letzterer hätte lange nachdenken müssen, um im Rahmen der Gesetze eine ekelhaftere Idee auszukochen.

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TH: Das Sterben der Städte

Das Deutsche Burgenmuseum steht in Heldburg. Hörte sich an wie etwas, das ich gesehen haben muss, und Heldburg am unteren Ende von Thüringen war im Bereich dessen, was man ohne Stress in vier Tagen tun kann.
Es wäre nicht ganz fair zu sagen, dass die Veste Heldburg größer ist als die Stadt, aber gleichgroß trifft es beinahe. Mit insgesamt 13 Ortsteilen, also umliegenden Dörfern ohne räumlichen Zusammenhang, schaffte man es vor zwei Jahren noch auf 3362 Einwohner. Vermutlich ist seither ein Dutzend gestorben.
Eigentlich sieht alles puppenstubenniedlich aus. Die Fachwerkhäuschen wirken, als seien sie direkt aus einem Märchenbuch umgesetzt worden. Bis man genauer hinsieht. Der Gasthof am Markt ist offensichtlich schon seit vielen Jahren geschlossen, die Torschenke seit zwei Wochen, der Bäcker seit letztem Jahr; der Imbisswagen an der Zufahrt zur Veste hat sechs Wochen Urlaub. Das Forsthaus behauptet, eine Gaststätte zu sein, ist aber auch geschlossen. Nichts verrät, ob es jemals wieder öffnen wird.. Am Ortsrand gibt es zwei Supermärkte und am Markt ein Büchertauschregal. Abends bleiben in vielen Häusern der eigentlichen Stadt die Fenster dunkel. Manche sind bereits vernagelt. Einige Häuser fallen langsam, aber stetig auseinander.
Die Website der Stadt (und wortgleich Wikipedia) machen die DDR für den desolaten Zustand der Stadt verantwortlich. Natürlich. Auf drei Seiten der Stadt liegt Bayern – grenzgebietiger ging es nicht. „Weitere Bevölkerungsverluste entstanden durch zwei Zwangsaussiedlungen (1952 Aktion Ungeziefer und 1961 Aktion Kornblume) aus dem Sperrgebiet“, heißt es bei beiden. Wikipedia listet dutzende Thüringer Orte auf, die von Zwangsumsiedlungen betroffen waren – aber nicht Heldburg. Ein Widerspruch, der keinem aufzufallen scheint.
Die Website der Stadt verkündet freudig: „Mit der Wiedervereinigung verbesserte sich die Lage der Stadt Heldburg stetig. Heute liegt Heldburg im aufstrebenden Südthüringen.“ Man fragt sich spontan, wo es früher gelegen hat. Die Stadt ist zwar 1187 Jahre alt, aber das mit der Kontinentaldrift war früher. Driftet Heldburg wieder nach Süden in die Tropen?
Und „aufstrebend“? Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Im Ortsteil Bad Colberg gab es bis letztes Jahr noch eine Kurklinik des Helios-Konzerns, mit 160 Beschäftigten das größte Unternehmen der Gegend. Sie wurde geschlossen, und Bad Colberg fühlt sich an wie eine Geisterstadt im Wilden Westen, nur dass statt Tumbleweed Regenschauer durch den Ort treiben. In Heldburg selbst gab es früher eine Molkerei (deren Reste immer noch am Ortsausgang stehen) und einen Zweigbetrieb des Spielzeugherstellers PIKO. Also vor der stetigen Verbesserung der Lage. Heute gibt es noch ein paar Handwerker und einen Kuhstall. Die Milch kommt aus Bayern und das Spielzeug aus China.
Heldburg ist ein guter Ort, wenn man wissen will, wie sich schrumpfende Gemeinden im Thüringer Hinterland anfühlen – wie nassgrauer Februar.

(irgendeins der Bilder anklicken, um die Galerie zu öffnen)

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Mit dem kleineren Übel demonstrieren

Als ich am Sonnabend auf der Jenaer Demonstration für Demokratie, Friede, Freude und Eierkuchen stand, musste ich feststellen, dass da nicht nur Kollegen und Freunde, sondern auch einige befremdliche Bundesgenossen herumstanden – bevorzugt in erster Reihe.

Von den 4000 Demonstranten am 03.02.2024 waren nur wenige Vorzeige-Politiker. Die meisten waren einfach da, weil ihr Gewissen das verlangte.

Da war der Landesvorsitzende der CDU, Mario Voigt, der kein Problem damit hat, mit der AfD Gesetze durch den Landtag zu bringen, etwa die Reduzierung der Grunderwerbssteuer, die dem Häuslebauer ein paar hundert Euro und den Konzernen ein paar zehn- oder hunderttausend spart. Natürlich war auch sein Jenaer Parteifreund Guntram Wothly da, der mir vor acht Jahre erklärte, zu Demonstrationen gegen Thügida gehe er nicht, weil da die Linksextremisten seien. Woher auch immer er das wissen wollte – er war ja nicht dort.
Natürlich war die FDP, angeführt von ihrem Oberbürgermeister, anwesend. Auch die hielt sich erklärtermaßen zurück, als die AfD ihre ersten (und letzten) Demonstrationen in Jena versuchte. Die Blockade des AfD-Aufmarsches war damals nicht so ganz legal, ja, aber wir standen da aus Überzeugung, weil die AfD nicht erst seit gestern klar faschistische Ideen ventiliert.
Schließlich stand auch Doreen Denstädt in der ersten Reihe, „Ministerin für Migration, Justiz und Verbraucherschutz und Beauftragte gegen Antiziganismus und für das Leben der Sinti und Sintizze sowie Roma und Romnja in Thüringen“ (Warum eigentlich nicht auch für Sorbinnen und Sorben, Däninnen und Dänen? Vermutlich war die Visitenkarte zu klein.). Die Frau bekam den Posten mit der Erklärung, ihr Vorgänger habe die Migrationsverwaltung nicht zur vollen Zufriedenheit seiner, der Grünen Partei, erledigt. Frau Denstädt war in ihrem Amt so unfähig, dass inzwischen das Innenministerium sich dieses Problems angenommen hat. Die Zustände in der Erstaufnahmeeinrichtung in Suhl sind so katastrophal, dass man ehrlicherweise nur feststellen kann, dass das Land mit der Migration völlig überfordert ist – eine Steilvorlage für die AfD. Keine Frage, die Verantwortliche gehört ganz nach vorn.
Da stehen also Leute, mit denen ich eigentlich nicht demonstrieren möchte. Aber ich bin gegen die AfD und ihre unappetitlichen politischen Ideen schon auf die Straße gegangen, als das noch nicht schick und staatstragend war. Bloß weil die Fähnlein-in-den-Wind-Hänger jetzt auch da stehen, hat sich meine Meinung über die Rechtsextremen nicht geändert.
Also stehe ich da, zähneknirschend, aber doch. Und ich ich freue mich von Herzen, als einer der Redner, der Physiker Gerhard Paulus, die Chance nutzt, um CDU-Voigt für seine Wendehalsigkeit eine Standpauke zu verabreichen. Auch die anderen ringsum freuen sich. Nur weil wir gegen die AfD sind, müssen wir ja nicht gleich für alle anderen sein.

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Das wahre Leben: weibliche Frauen

In Thüringen haben CDU und AfD jeweils einen Antrag zum Verbot des Genderns eingebracht. Die sind vorerst gescheitert. Das Thema ist ganz offensichtlich ein Warmlaufen für den Wahlkampf – und recht überflüssig. Man könnte meinen, wir haben im Freistaat keine Probleme.


In der Debatte servierte die SPD-Abgeordnete Dorothea Marx eine unwiderlegbare Wahrheit: Die Mehrheit der Thüringerinnen ist weiblich! Wer hätte das gedacht? Also ungefähr 1 075 362 (Stand 2022), die restlichen beiden sind statistisch gesehen vielleicht divers. Das Thüringer Landesamt für Statistik weist Diverse nicht separat aus – was auch daran liegen könnte, dass es im Land einfach keine gibt.
Und weil Frauen in aller Regel weiblich sind, meint Frau Marx (weiblich), sollte man das generische Femininum verwenden. Mit anderen Worten: Krankenschwester, Hebamme und Fachkraft dürfen auch weiter so heißen. Viel mehr generische Feminina gibt die deutsche Sprache nicht her.

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Ein schlecht verpacktes Wunder

Jena baut sich eine neue Bibliothek. Weil die Stadtoberen unbedingt ein Konferenzzentrum für ihr Selbstwertgefühl brauchten, dem die Ernst-Abbe-Bibliothek im Volkshaus im Wege war. Das Volkshaus ist jetzt mehr für gehobenes Volk statt für den lesenden Pöbel. Bei uns heißt übrigens fast alles nach Ernst Abbe, jedenfalls alles, was nicht nach Carl Zeiss heißt.
Für die Bibliothek gab es einen Architekturwettbewerb, bei dem sich der Siegerentwurf vor allem dadurch auszeichnete, dass er unter Beachtung gesetzlicher Vorgaben den maximal möglichen Baukörper in die Baulücke zimmerte. An dieser Stelle hörte man offenbar auf zu denken. Die Fassade treibt einem die Tränen in die Augen. Sie hat die Individualität eines Lobedaer Neubaublocks. Man fragt sich, warum kein Architekt dieses Landes in der Lage ist, für einen repräsentativen Bau irgendetwas Spezielles auszuschwitzen. Wählt man die nach Phantasielosigkeit aus?

Allerdings hat man eine Innenarchitektin gefunden, die noch selbst denken kann. Das ist spektakulär. Die seltsamsten Strukturen sind vor allem in der Kinder- und der Jugendsektion gewuchert. Leider habe ich den Namen der Frau nicht aufgeschrieben – sie hätte es verdient, erwähnt zu werden. Alles ist irgendwie schief oder krumm oder bunt – aber auf eine harmonische Art. Noch sieht das alles ein wenig unfertig aus. Anstelle von Büchern liegen überall Werkzeuge und Kartons herum, denn noch wird gebaut. Eröffent wird erst im April.
(Nur die Mitglieder der Bürgerwerkstatt zur Eichplatz-Bebauung durften schon mal rein – vor allem um ihnen anschließend nahezubringen, dass die öffentliche Nutzung auf dem Platz, die seit 2015 von den Bürgern immer wieder gefordert wird, eigentlich gar nicht nötig ist. Das sehe ich anders. Natürlich.)
Das Wunderbarste an der Bibliothek ist allerdings ein Foyerraum, der separat und auch außerhalb der normalen Öffnungszeiten angemietet werden kann – mit Rabatten für gemeinnützige Vereine und nichtkommerzielle Veranstaltungen. Mir konnte niemand sagen, wie groß der ist. Aber er ist ziemlich genau das, was ich vor sechs oder sieben Jahren im Stadtrat beantragt habe – und was von der Betonkoalition aus SPD, CDU und Grünen als absurde Forderung abgelehnt wurde: ein Raum, in dem sich Bürger treffen können. Der hätte, sagte man mir damals, keinesfalls Platz im Neubau.
Manchmal geschehen Wunder.

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(N)MK: Die Bank der Zukunft

An den meisten Stellen fühlt sich Mazedonien an, als liege die Zukunft in der Vergangenheit, einer Zeit, in der man Schulen und Spielplätze, Kulturhäuser und Ferienheime für die werktätigen Massen baute, die heute langsam verfallen. Es gibt jetzt aufpolierte Hotels für Touristen mit Devisen, aber die zu früh verstorbenen Träume stimmen traurig.
Aber …
Aber in einem sind uns die Mazedonier derartig voraus: Es gibt Sitzmöbel im öffentlichen Raum, die mit Solarzellen ausgerüstet sind. Man kann da nicht nur sein Mobiltelefon aufladen – es gibt auch WLAN. In Deutschland macht sich da jeder Anbieter ins Hemd, weil man ja was Illegales an seinem Hotspot tun könnte, weswegen es gleich gar keine Hotspots gibt. Oder man muss sich eine lästige App herunterladen, die einen mit Werbung zuschüttet.
In Mazedonien kann man sich einfach in den Park setzen. So geht Zukunft.

Diese WiFi-Bank steht in Kavadarci auf dem Marschall-Tito-Platz. Das Beste daran: Sie ist obendrein bequem´!
Dieses bescheidenere Exemplar lädt auf der Strandpromenade am See der Jugend bei Veles zum Verschnaufen ein.
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Der Mistgabelmob

Dieser DDR-Traktor ist derzeit nicht auf der Straße, sondern steht in Wandlitz im Museum.

Die Bauern bekommen – im Gegensatz zu den meisten anderen Bevölkerungsgruppen – den Arsch vom Sofa. Sie haben es bewiesen. Dabei sind vermutlich viele, die wirklich um ihre Existenz bangen, aber auch etliche Großkonzerne, denen es um Profite geht (und die ihre Landarbeiter mit Mindestlohn abspeisen). Aber anders als abhängig Beschäftigte, also die Arbeiterklasse, setzen sie sich massiv zur Wehr, wenn man ihnen in die Tasche greift.
Für die Regierung ist das ein Problem. Was, wenn das Schule macht? Natürlich hängt sich die AfD sofort an die Proteste dran und versucht, sie für ihre Zwecke zu nutzen. Die AfD hängt sich an jeden Aufmupf, der nicht explizit antikapitalistisch ist. Ihr Engagement ist dann die Entschuldigung für alle „Linken“ einschließlich der gleichnamigen Partei, den Bauernprotest eklig zu finden. Man muss nur ein Reichsbürgertransparent irgendwo aufspannen, das natürlich den Weg in die sozialen Medien findet, und schon ist klar: Die Bauern sind die Sturmtruppe der AfD. Aber 85 % der Bevölkerung haben Verständnis für die Bauern, was eine erstaunlich hohe Zahl ist.
Und da kam passgenau der aus dem Ruder laufende Protest am Fähranleger, als der Wirtschaftsminister aus dem Urlaub auf irgendeiner Hallig zurückkehrte. Die Fähre fuhr zurück und legte erst Stunden später am Festland an. Die Aufnahmen von diesem Vorfall zeigen viel Polizei und eine eigentlich überschaubare Zahl randalierender mutmaßlicher Bauern. Der NDR spricht von 250 bis 300, von denen so 25 bis 30 versucht hätten, die Fähre zu stürmen. Sofort läuft die Empörungsmaschine auf Hochtouren. Mistgabelmob, geht gar nicht, Umstürzler, die den Rechtsstaat untergraben und so weiter und so fort. Der arme Wirtschaftsminister!
Die Polizei, die sonst problemlos antifaschistische Demonstrationen mit mehreren tausend Teilnehmern einkesseln kann, schaffte es über Stunden nicht, hundert Bauern in den Griff zu bekommen. Ich habe schon vor einigen Polizeiketten gestanden und gesehen, dass sie auf Durchbruchsversuche recht undifferenziert mit Tränengas, Schlagstock und Festnahmen reagieren. Hat man von Festnahmen gehört? Laut NDR ermittelt die Polizei gegen Unbekannt wegen Landfriedensbruch. Wenn man die Bauern dingfest gemacht hätte, dann wüsste man doch, wer sie sind?
An dieser Stelle wird es seltsam. In ersten Meldungen wollte die Polizei nicht einmal von Gewalt sprechen. Aber die öffentliche, veröffentlichte Meinung dreht sich praktischerweise gegen die Bauern. Plötzlich sind sie Undemokraten, die Terror verbreiten, obwohl nur 25 oder 30 wirklich einen Ansatz von Gewalttätigkeit gezeigt haben.
Von eher linken Demonstrationen, etwa gegen G7-Treffen oder ehedem TTIP, kennt man das Phänomen von gewaltbereiten und zu Gewalt aufrufenden Teilnehmern, die, von der Polizei aus der Menge gezogen, nach Vorzeigen ihres Ausweises ihres Weges gehen dürfen. Die eskalierende Bauerndemonstration passt einfach zu gut. Perfekter hätte man es nicht organisieren können, hätte man mit Vorsatz die Proteste der letzten Woche delegitimieren wollen.
Hat aber nur so mäßig funktioniert.

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(N)MK: Die Seele in den Himmel springt

In Mazedonien gibt es eine Unmenge von Kirchen von der ausgewachsenen Kathedrale bis zur Taschenkirche, die in den eigenen Vorgarten passt. Von Ohrid, knapp 40.000 Einwohner, sagt man, die Stadt habe 365 Kirchen. Sobald sie einigermaßen von Bedeutung sind, muss man Eintritt bezahlen, um sie betreten zu dürfen (und, wir ahnen es, als Ausländer bezahlt man natürlich mehr als die Inländer). Geld stinkt nicht, und die Zeiten, in denen ein religiöser Eiferer namens Jesus die Händler und Geldwechsler aus dem Tempel trieb, sind schon eine Weile vorbei.
Perfektioniert hat man die Glaubensindustrie in Sveti Naum am südlichen Ende des Ohrid-Sees. Das ist im Prinzip nicht mehr als ein Kloster und ein Grenzübergang nach Albanien.
Es beginnt mit mehr als einem Kilometer Allee mit akribisch abgesperrtem Seitenstreifen, etwas, das es nirgends sonst in Mazedonien gibt. Am Ende befindet sich natürlich ein kostenpflichtiger Parkplatz, dem man auf keine Art entgehen kann, falls man das Kloster besichtigen möchte. Dahinter befindet sich nicht nur eine topmoderne, selbstverständlich kostenpflichtige Toilette (auch etwas, das es sonst nirgends gibt), sondern auch ein einzigartig gepflegter und säuberlicher Park. Auf der Landseite hingegen erstreckt sich eine Reihe von zwei oder drei Dutzend Verkaufsbuden, die religiöse Devotionalien, ein paar Andenken und in ganz seltenen Fällen Nahrung verkaufen. Dahinter kommen die Restaurants, die verglichen mit der durchschnittlichen mazedonischen Dorfkneipe mäßiges Essen mit mäßigem Service und übermäßigen Preisen verbinden.
Dann kommt eine Weile nichts, und dann kommt das Kloster, in dem sich selbstverständlich ein Laden befindet, in dem man religiöse Devotionalien erwerben kann … Die Kirche des Klosters kostet Eintritt, und wenn einem danach ist, kann man auch etwas spenden oder Kerzen kaufen.
Das Fotografieren ist verboten, aber wenn man mit einer Kamera in der Hand die Kirche betritt, dann kommt ein Angestellter und schaltet das Licht ein, damit man bessere Bilder hinbekommt. Entsprechend streng hält man sich an das Verbot. Eigentlich stören nur die Mengen an Touristen, die in Schüben mit Bussen oder Schiffen aus Ohrid angeliefert werden, die Aufnahmen …
Der Heilige Naum war ein Schüler von Kirill und Method und lebte vermutlich von 830 bis 910 (sagt Wikipedia), arbeitete an der Schaffung des slawischen Schrift mit und gründete das Kloster. Man fragt sich, was er von seiner Vermarktung halten würde.
Ungefähr zwei Kilometer weiter steht mitten im Walde das Kloster des Heiligen Athanasij. Es ist sehr klein. Man kann um die Kirche herumlaufen, und keinen Menschen interessiert es. Nur rein kommt man leider nicht.

(Auf eines der Bilder klicken, um die Galerie zu öffnen.)

Der häusliche Gefährte meint, ich müsste unbedingt erklären, dass die Überschrift vollständig „Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt“ lautet und ein Spottvers auf den Ablasshandel war. Er argwöhnt, dieses Wissen sei zu DDR-spezifisch.

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