Plädoyer für Alltagssexisten

Wenn sie die Dinge nicht ändern können, ändern die Leute die Worte.
Jean Jaurès

PutteEigentlich sollte ich als Frau Probleme mit Männern haben, insbesondere mit heterosexuellen Männern. Habe ich aber irgendwie nicht. Stattdessen habe ich Probleme mit feministischen Extremist_*/innen. Eigentlich wollte ich über die ein wenig schimpfen. Dann habe ich drüber geschlafen. Dann bin ich vier Kilometer durch den Wald gerannt. Dann dachte ich, es sei besser, die Sexisten zu loben. Also nicht die Sexisten, die meinen, man müsste Frauen durch Mangel an Kita-Plätzen zu ihrem Glück als Langzeit-Vollzeit-Mutti zwingen, und nicht die, die es in Ordnung finden, dass Frauenberufe schlechter bezahlt werden als Männerberufe und nicht die, die Frauen lieber nicht in eine verantwortungsvolle Position lassen, weil sie ein demographisches Risiko sind, das schwanger werden könnte. Die definitiv nicht. Ich meine die anderen, die unfähig sind, sich genderkorrekt auszudrücken und zu verhalten, was nach Meinung einiger Verbalfeminist_*/innen viel schlimmer ist (die Verlinkten waren nicht die Ursache meines Ärgers, aber sie sind symptomatisch).
Alltagssexisten sind höfliche Menschen. Sie halten mir die Tür auf. Ich arbeite in einem Schließbereich und muss jedes Mal den Schlüssel aus der Hosentasche fummeln, um an meinen Schreibtisch zu kommen. Schon mit einem Kaffeebecher in der Hand wird es schwierig, mit Kisten voller Einzelteile fast unmöglich. Ich halte den Sexisten übrigens auch die Tür auf.
Alltagssexisten konzentrieren sich aufs Wesentliche. Ich kenne einen, der keinen blöden Witz auslassen kann, sich aber vehement dafür einsetzte, aus prekären Frauenarbeitsplätzen reguläre zu machen. Eine Nutzenabwägung sagt mir, dass er weiter Witze reißen sollte.
Alltagssexisten sind nett. Sie sagen so unkorrekte Dinge wie: „Hast du deine Haare schneiden lassen? Sieht gut aus.“ Botschaft: Du bist mir wichtig genug, dass ich auf solche Dinge achte, und ich finde dich gut. Und schon fühlen wir uns beide besser.
Alltagssexisten können lustig sein. Ich erinnere mich noch bestens an meinen Versuch, einen journalistischen Text zum Thema „Was Frauen von Männern wollen“ zu analysieren, den ich mit einem unbedachten: „Das ist ein ziemlich langes Ding“ begann. Das Gelächter  meiner Weiterbildungsklasse war politisch ziemlich unkorrekt, aber herzlich, und wir sind zwanzig Jahre danach noch immer befreundet.
Mit Alltagssexisten kann man einfach so reden, ohne das Gefühl zu haben, sich auf einem verbalen Minenfeld zu bewegen. Man kann sich auf Themen konzentrieren und auch mal die genderpolitisch verheerende Annahme treffen, dass unter fehlenden Kita-Plätzen vor allem die Berufstätigkeit der Mütter leidet – nur weil es eine statistische Tatsache ist. Obwohl es theoretisch und in seltenen Fällen der Mann sein kann, der zu Hause bleibt.
Die Alltagssexisten sind einfach die unkomplizierteren Menschen, und sie kriegen wahrscheinlich wirklich was gebacken, während die anderen, die Korrekten, immer noch darüber diskutieren, wie sie einander anreden könnten, ohne einander zu diskriminieren.

Und wenn das nächste Mal jemand glaubt, mein „Ich bin Physiker“ mit einem „Nein, Physikerin!“ korrigieren zu müssen, dann habe ich eine Antwort darauf: „Woher willst du das wissen?!“

Über Heidrun Jänchen

Physikerin, Autorin von Fantasy und Science Fiction und als Mitglied der Bevölkerung engagierte und unangepasste Bürgerin
Dieser Beitrag wurde unter Das Universum & der Rest abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

6 Antworten zu Plädoyer für Alltagssexisten

  1. kussaw schreibt:

    Hast mir gerade den Abend versüsst. Danke!
    Ein Alltagssexist

  2. Heidrun Jänchen schreibt:

    Das war jetzt wirklich schnell. Ein Sprintpreis für dich. Der letzte Alltagssexist brauchte noch etwa zehn Minuten für eine Antwort … Wartet ihr nur auf solche Texte? 😉

  3. kussaw schreibt:

    Manchmal … Bin noch bei der Arbeit und so ein Systemupdate braucht so zwischendurch ja nur ein wenig Aufsicht, der Rest geht ja fast von allein.
    Ansonsten lese ich deine „Sexismusartikel“ wirklich gern. Inhaltlich sind wir da einer Meinung, aber wenn ich sowas in der Richtung schreiben würde … 🙂

    • Heidrun Jänchen schreibt:

      Denk nicht, mir geht es besser. Mir hat gerade ein Rezensent jeden sexistischen Ausdruck in meinem letzten Buch fett rot angestrichen, Zusammenhang völlig egal. Der fand es sogar frauenfeindlich, dass in einer Story der 16jährige Held seiner bis dahin nur „besten Freundin“ den ersten Kuss auf die Wange und nicht auf den Mund haucht.
      Der Post hat ja seinen Grund …

  4. lawgunsandfreedom schreibt:

    Danke für diesen feinen Artikel. Der passt so gut zu dem, was ich grade bei Harald Stücker gelesen habe.

    Ich habe nix gegen emanzipatorische Bestrebungen. Im Gegenteil! Aber dieser Sprachterrorismus und diese missionarische Ideologie, die einem – grade bei den Piraten – ständig entgegengeschleudert wird, geht mir schwer auf den Senkel. Damit erreichen die Damen bei mir nämlich genau das Gegenteil. Nicht aus Trotz, sondern um sie zu ärgern, betone ich einen Charakterzug, der bei mir eigentlich nur in Spuren vorhanden ist.

    Aktion = Reaktion … aber mit Physik haben es die Genderisten ja nicht so. Mit Psychologie auch nicht …

    • Heidrun Jänchen schreibt:

      Danke für den Link. Harald Stücker ist gut. Oder zumindest ähnlich drauf wie ich – und lustig.
      Aber du kennst eindeutig die falschen Piraten. Hier sind die alle – Männlein wie Weiblein – erschütternd normal. Die kommen prima damit klar, dass ich anders bin als andere Jungs. 😉

Hinterlasse einen Kommentar